[Fig. 1b] molla, polo, chiave [1] [Fig. 1b] Quando la chiave move la lieva -n- in verso -b-, essa lieva -n- abbassa la seconda lieva -m-. E abassandosi -m-, -g- s' abassa ancora lui e lleva in alto -f-, e disschiava il suo naso. Di poi le molle ritornano li articuli a' primi lor siti. [2] [Fig. 1d] se -a- va in verso -c-, -b- va in verso -n-. |
[Fig. 1b] Feder, Achse, Schlüssel [1] [Fig. 1b] Wenn der Schlüssel den Hebel -n- gegen -b- bewegt, senkt der Hebel -n- den zweiten Hebel -m-. Und wenn -m- sich senkt, senkt sich auch -g-, hebt -f- empor und löst seine Nase. Dann bringen die Federn die Glieder wieder in ihre ursprüngliche Lage zurück. [2] [Fig. 1d] Wenn -a- gegen -c- geht, geht -b- gegen -n-. |
Auf fol. 50r widmet sich Leonardo den Mechanismen von Zangenschlössern mit einer besonders schönen Darstellung, die er offensichtlich aus der Praxis entnimmt. Im Zentrum steht Fig. 1a als vollständiges Zangenschloss mit den ergänzenden Detailzeichnungen 1b bis 1f. Die Mechanismen 2 und 3 bieten eigene Varianten. Fol. 50r berührt sich inhaltlich fol. 49v; dort gehören Fig. 3 und 4a-d eindeutig zu dem Thema. Leonardo hatte auch ein persönliches Interesse an Schlössern. Am 15. September 1494 notierte er in seinem Skizzenbuch H fol. 57: A dì 15 di settembre Giulio cominciò la serratura del mio studiolo 1494
(vgl. Richter, Notebooks 2, S. 440).
Fig. 1: Es handelt sich um ein Zangenschloss, das beim Schließen automatisch einschnappt. Den Schlüssel benötigt man lediglich zum Öffnen. Schnappschlösser dienten oft als Verschluss für die Deckel von Truhen oder Schatullen. In der Renaissance konstruierte man Truhenschlösser ohne Gehäuse, weil der Mechanismus der Repräsentation diente. Er offenbarte sich, wenn der Hausherr die Truhe öffnete. So erklären sich auch die Zierelemente des hier dargestellten Schlosses. Von der Truheninnenseite aus trifft der Blick auf das Schließwerk. Der Mechanismus ist auf einem Blech (Schlossplatte) installiert, dieses ist auf die Truhenwand genietet oder genagelt.
Eingerichte: Die kartuschenartig umrahmte Fläche unten erweckt den Eindruck, als sei hier ein Durchbruch in der Schlossplatte gemeint. In Wirklichkeit handelt es sich um eine schemenhaft wiedergegebene Dose, die auf der Schlossplatte befestigt ist; zwei Nietköpfe sind unten seitlich zu sehen. Sie enthält das darin verborgene Eingerichte (auch Besatzung genannt). In Kombination mit diesem Gehäuse ist es ein so genanntes Kapelleneingerichte. Das Eingerichte umfasst die Sperren (Gewirre) aus Eisenstäben oder Blechen im Drehkreis des Schlüssels, die der Gestalt des passenden Schlüsselbartes entsprechen. Den Schlüssel steckte man von der anderen Seite durch das Schlüsselloch hinein, also zum Betrachter der Zeichnung hin. In Fig. 1a erkennt man, dass Teile des Mechanismus vom Deckel der Dose verdeckt sind und in die Dose hineinragen. Das Gehäuse ist also auf der vom Betrachter aus nicht sichtbaren Seitenfläche nach oben hin offen, so wie es auch bei anderen Schlössern des 15. und 16. Jahrhunderts der Fall ist. Dort hebt der Schlüsselbart zuerst die Zuhaltung und betätigt dann die Angriffe der Zangenmechanismen. Leider hat Leonardo dies nicht gezeichnet, er hätte dazu in das Innenleben des Vorbilds hineinschauen müssen. Dies spricht dafür, dass er sich auf Neuerungen der Zangenmechanismen konzentrieren wollte. Einen ansatzweisen Einblick bietet er aber in einer sehr ähnlichen Darstellung im Codex Atlanticus auf fol. 78v.
Dreizangenmechanismus:Das Besondere dieses Schlosses ist, dass es mit drei statt der damals sonst üblichen zwei Zangen arbeitet. Die beiden herkömmlichen äußeren Zangen sind an den Widerhaken oben zu erkennen. Zunächst bewegt der Schlüsselbart unten den Querriegel, indem er gegen den so genannten Angriff stößt. Dieser Zapfen ist hier zwar durch den Dosendeckel verdeckt, doch gibt der Riegel auf fol. 48v einen Eindruck davon. Das schwenkbare Element darüber ist die Zuhaltung. Sie blockiert die Zangen im geschlossenen Zustand, um Manipulationen von anderer Stelle zu unterbinden. Sie öffnet sich, wenn der Schlüsselbart gegen die wahrscheinlich in Schlüsseldrehrichtung leicht geschrägte Unterkante stößt (vgl. Codex Atlanticus fol. 78v). Die Sperrfunktion ist nicht klar erkennbar. Zu sehen ist nur ein dunkel gezeichnetes Viereck. Entweder ist es Teil eines Hakens am Kopf der Zuhaltung, der in einer Aussparung im Querriegel ruht, oder es handelt sich um einen Zapfen auf dem Querriegel, der gegen die Zuhaltung stößt. Eine Doppelfeder drückt die Zuhaltung nieder. Beim Drehen des Schlüssels hebt sie sich. Ist der Querriegel freigegeben, schiebt dieser die beiden vertikalen Hebel darüber nach links (links / rechts im Folgenden stets nach der Originalversion). Der rechte Hebel hat in der Mitte seinen Drehpunkt, so dass er die Zange darüber nach außen drückt. Der linke Hebel hat den Drehpunkt ganz oben und drückt mit einem Vorsprung die dortige Zange ebenfalls nach außen. Der Zweck des Langlochs in dem Vorsprung ist ungewiss. Den Gegendruck empfangen die Zangen durch zwei Federn, die an der Platte befestigt sind. Die beiden vertikalen Stäbe dienen der Statik.
Für die mittlere, dritte Zange liefert Leonardo zwei Varianten, in Fig. 1b und 1c illustriert und in Fig. 1b zusätzlich beschrieben. In beiden Fällen bleibt die Vermittlung vom Schlüssel zum ersten Hebel dieses Zangenmechanismus unsichtbar. Die Beschriftung chiave
(Schlüssel) in Fig. 1b erlaubt aber den Schluss, dass der Schlüssel den Hebel direkt betätigt und die mittlere Zange unabhängig von den beiden äußeren öffnet. Die Hauptzeichnung enthält den Mechanismus von Fig. 1c. Ein vertikaler Hebel mit Drehpunkt im oberen Bereich betätigt den Winkelhebel (Detail Fig. 1d), der schließlich die Zange hebt. Diese drei beweglichen Elemente haben ihre Achsen in dem gefalzten, kleinen, auf der Schlossplatte befestigten Blech. Der vertikale Hebel ist am Drehpunkt verkröpft. Die Querstriche in Fig. 1c lassen noch weitere Versprünge an dem Hebel vermuten. Ob ihn die Schraffur in der Hauptzeichnung mit einer abgedunkelten Seitenfläche plastisch erscheinen lassen soll oder ob es sich um eine Riffelung oder Zähnung handelt, ist nicht zu entscheiden. Eine leichte Perspektive aus derselben Richtung ist auch an anderen Bauteilen zu erkennen, etwa an den äußeren Zangen oder an dem gefalzten Blech.
Die andere Version ist in Fig. 1b perspektivisch illustriert. Hätte Leonardo die gleiche Sehrichtung gewählt wie in der Hauptzeichnung, so wäre der gebogene Hebel -m- nur als gerades Element zu sehen. In dieser Stellung senkrecht zur Schlossplatte entfaltet er seine im Originaltext erläuterte Funktion am effektivsten. Der Hebel -n- würde auch in der Hauptzeichnung seine Schräglage (parallel zur Schlossplatte) einnehmen. Deshalb kann er so nicht im Eingerichte enden. Vielleicht hat sich Leonardo deshalb für die Version 1c entschieden.
Die Zange selbst funktioniert in beiden Varianten gleich. Eine Feder drückt das untere Ende hoch, und das obere Ende senkt sich, bis es den Querstab berührt. Dieser dient als Anschlag der Zange. Das Kleeblatt ist Zierrat. Der Widerhaken, den Leonardo als naso
(Nase) bezeichnet, ist dahinter positioniert. Man erkennt ihn in der schematischen Draufsicht von Fig. 1e: Das umgekehrte T ist die dritte Zange, die Nase zeigt darin nach oben; links und rechts die Widerhaken der beiden anderen Zangen. Fig. 1f zeigt den Deckelbeschlag mit den drei Löchern für die Zangen.
Die virtuelle Rekonstruktion des Zangenschlosses offenbart eine zeichnerische Ungenauigkeit. Das Spiel der Zangen und der Hebel reicht nicht aus, um den Verschluss zu öffnen.
Das Schloss ist bereits im Codex Atlanticus fol. 78v (27v-b) fast identisch dargestellt; dort auch eine Detailzeichnung der drei Zangen; auf fol. 78r (27r-b) der Winkelhebel von Fig. 1d mit treibendem Hebel. Ein ähnliches Schloss, ohne die mittlere Zange, zeigt Pankofer, Schlüssel 1994, S. 55 mit den Angaben: gotisches Truhenschloss, innen aufgesetzt, Schmiedeeisen, süddeutsch, Maße 23 mal 25 cm.
Fig. 2: Teil eines Dreizangenschlosses. Die Zangen sind ähnlich T-förmig angeordnet wie in Fig. 1. Der zweifach gezeichnete schieberartige Schlüssel drückt die Zangen auseinander. Nicht dargestellt sind die unverzichtbaren Federn.
Fig. 3: Desgleichen, aber mit etlichen kreisförmig angeordneten Zangen. Der Schlüssel wird hier auf einem Rundstab hochgeschoben. Oben eingezeichnet der Deckelbeschlag mit konischem Zapfen. Die Federn fehlen auch hier. Ähnliche Schlösser mit komplexem Schiebeschlüssel im Codex Madrid I auf fol. 98v und im Codex Atlanticus auf fol. 78v (27v-b).
Weitere Literatur zur seit dem Spätmittelalter hoch entwickelten Schlosserei: Zipper, Schlosser-Kunst 1841, mit einem alphabetischen Wörterbuch des Schlossers; Vincent J. M. Eras, Locks and Keys throughout the Ages, Folkestone 1974, S. 72-87 (Abbildungen von Schlössern 15.-18. Jh.), S. 104ff. Hebelschlösser England 18. Jh.; Phillipps, Locks 2005.
Für seine nachhaltige Unterstützung bei der Analyse der Mechanismen danken wir Herrn Dr. Ulrich Morgenroth, Leiter des Deutschen Schloss- und Beschlägemuseums in Velbert.