Leonardos rocca / rocchetta in der Geschichte des Maschinendrehlings


Von Thomas Kreft und Dietrich Lohrmann



Inhalt:


1. Nomenklatur

2. Agricolas Fürgelege und seine antiken Vorläufer

3. Terminologie und Funktion des Drehlings bei Leonardo da Vinci

4. Mittelalterliche Vorgänger

5. Zusammenfassung und Ausblick


Zu Leonardo da Vincis Zeiten gab es ihn wahrscheinlich schon seit über 1500 Jahren, den Drehling im Getriebe der vorindustriellen Maschinen. Trotzdem ist er aus historischer Sicht nie näher untersucht worden.

Dieses in der alten Technik beliebte und notwendige Maschinenelement trug im Deutschen die unterschiedlichsten Namen: Trieb, Triebrad, Getriebe, Drehling, Drilling, Trilling, Vor- oder Fürgelege, Stollenrad, Sprossenrad, Spindelrad, Laterne, Stockgetriebe und schließlich, um 1900, Triebstockrad, was der offiziellen modernen Bezeichnung entspricht.1 Daneben erscheinen noch Quirl, Ritzel, Rönsel und Käfigrad. Insgesamt also mindestens 17 mehr oder weniger unterschiedliche Bezeichnungen.

Gemeint ist eine simple, aber robuste Konstruktion aus zwei runden Platten und einem Kranz senkrechter Stäbe zwischen den Platten. Dieses Maschinenelement tat den Dienst eines Zahnrades mit geringer Zahnzahl und hatte den Vorteil, dem Getriebe einen besseren Lauf zu vermitteln, als es mit den Zähnen eines hölzernen Stirnrades bzw. Ritzels von gleicher Zahnzahl möglich gewesen wäre. Der Drehling ist somit das Gegenstück zum Kammrad, seine Sprossen greifen zwischen die Zähne dieses Rades und treiben es an oder werden von ihm angetrieben. Wenn der Drehling in einer Mühle oder anderen Maschine ausfiel, stand die gesamte Maschine still. Schon deshalb beschäftigte sich fast die gesamte ältere Maschinenbauliteratur mit diesem Bauteil und versuchte, es zu verbessern.

Verbunden mit der speziellen Frage nach der Terminologie und der möglichst besten Übersetzung für Leonardos rocca und rocchetta stellt sich die allgemeinere Frage nach der Bedeutung, Häufigkeit und dem Alter des genannten Getriebeelementes. War der Drehling, den Leonardo genauer als mancher andere beobachtete, zeichnete und analysierte, bereits Teil der antiken Mechanik? Spielte er bereits in der antiken Mühlenbaukunst eine Rolle, oder zählt er erst zu den Innovationen der mittelalterlichen Technik, für die er sich mit Sicherheit nachweisen lässt? Warum liebte ihn die Renaissance-Technik? Nicht zuletzt soll zumindest anklingen, warum er seine Bedeutung in der Technik des 19. und 20. Jahrhunderts weitgehend verloren hat und wo er in verwandelter Gestalt vielleicht noch überlebt.

1. Nomenklatur

Ein rascher Blick auf die Terminologie ist notwendig, denn in der gesamten technologischen Literatur des 16.-19. Jahrhunderts herrscht, wie schon angedeutet, verwirrende Vielfalt. Unter den zahlreichen Varianten die beste Bezeichnung zu wählen, ist nicht einfach. Wir bevorzugen den Terminus Drehling zunächst vor allem deshalb, weil er in der bisherigen Übersetzung von Leonardos Codex Madrid I vorwiegt und dafür gute Gründe anzuführen sind. Unter anderem findet man bei Johann Karl Gottfried Jacobsson, Technologisches Wörterbuch 1784, zum Stichwort Drehling die kurze Erklärung: Werkzeuge, so andere wieder in Bewegung setzen. Das ist allgemein, trifft aber den Sachverhalt. Jacobsohn benutzt Drehling, Dreher, Triebel und Drilling.2 Auch das deutsche Übersetzerteam der 1974 erschienenen Erstedition von Leonardos Codex Madrid I, darunter Autoritäten wie Gustav Ineichen, Friedrich Klemm und Ludolf von Mackensen, wählte für Leonardos rocca, rocchetta in der Regel Drehling.3 Erwin Tivig, der Übersetzer von Mario Taddeis anschaulichen Studien zu Leonardos Maschinenzeichnungen (2008), bevorzugte dagegen Stockgetriebe.

Neben rocca/rocchetta erscheint bei Leonardo da Vinci vereinzelt auch carello.4 Die Übersetzung dieser Bezeichnung fällt nicht leicht und muss fallweise geprüft werden. Verwirrend wird die Lage, wenn wir uns klar machen, dass im Deutschen schon seit dem 15.-16. Jahrhundert eine Fülle konkurrierender Bezeichnungen gebräuchlich war und es ähnlich auch in der Handwerkersprache der anderen europäischen Länder zuging. Sprachwissenschaftler sprechen in solchen Fällen von synonymischer Abundanz.

Der Mitnahmeeffekt des Drehlings konnte nicht nur durch frei stehende Stäbe erfolgen, sondern auch durch runde in der Antriebswelle eingedrechselte Vertiefungen. Man sprach dann von einem Kumpf oder Kumt (Johann Georg Krünitz 1804, Gottfried Huth 1789).

Sehr bekannt ist die metaphorisch verwendete Benennung des Drehlings als Laterne bzw. Laternenrad oder Laternentrieb, analog zu den entsprechenden Bezeichnungen im Englischen, Französischen und Italienischen.5 Laterne in diesem Sinn kommt am Ende des 16. Jahrhunderts bei dem bekannten italo-französischen Ingenieur Ramelli häufig vor6, bei Leonardo erscheint sie noch nicht.

2. Agricolas Fürgelege und seine antiken Vorläufer

3) Agricola, De re metallica 1556, Buch 6: Tympanum quod ex fusis constat

Georg Agricola bezeichnet im Sechsten Buch seines Klassikers Vom Bergwerk/De re metallica das Triebrad in den genannten Facetten als Fürgelege. Seine Erklärung einer Zeichnung in der lateinischen Originalausgabe von 1556 lautet: tympanum quod constat ex fusis - wörtlich: Trommel, die aus Stäben besteht.7 (Abb. 3). Im Text liefert er die Zahl der Triebstöcke und die Ausmaße: … id constat ex duodecim fusis, longis pedes tres, latis et crassis digitos sex. Sein Fürgelege bestand also aus 12 Stäben von 3 Fuß Länge und 6 Zoll Breite und Dicke, es war ein sehr großes Getriebeelement, denn die Beschreibung bezieht sich auf eine Bergwerksmaschine im oberungarischen Schemnitz (heute Banska Stiavnika, Slowakei), eine Pumpenanlage, die Grubenwasser aus einer Tiefe von 240 Fuß (ca. 80 Metern) hob und von 32 Pferden gezogen wurde. Die deutsche Agricola-Übersetzung von 1928 setzt für tympanum: Getriebe, für die Sprossen Kämme, was den Sachverhalt nur unvollkommen wiedergibt.8

Für die Bezeichnung seines Sprossenrades bzw. Kumpfes als tympanum hielt sich Agricola am ehesten an Vitruvs De architectura, 10. Buch, Kapitel 5.2. Das ist die älteste erhaltene Beschreibung des Getriebes einer Wassermühle, vermutlich im Anschluss an ein hellenistisches Vorbild. In diesem kurzen Text spricht Vitruv von zwei Zahnrädern, beide als tympanum dentatum bezeichnet, das eine senkrecht gestellt (ad perpendiculum conlocatum), nach der gängigen Rekonstruktion ein Kammrad, das andere, das tympanum maius, horizontal gestellt planum est conlocatum); in den Rekonstruktionen wird es meist als Stockgetriebe oder lantern pinion bezeichnet.9 Die angeblichen Sprossen heißen bei Vitruv jedoch Zähne (dentes). Das lässt die Rekonstruktion als Sprossenrad oder Drehling nicht sicher erscheinen; fusile wäre klarer gewesen, ist aber aus klassischer Zeit nicht überliefert.10 Ein Sprossenrad oder Drehling wäre andererseits die mechanisch solidere Konstruktion für dieses stark beanspruchte Maschinenteil, das über seine eiserne Welle unmittelbar den Antrieb des Mühlsteins übernahm. In diesem Sinne zögerte auch Agricolas Zeitgenosse Walter Ryff (Rivius) in seiner 1548 erschienen ersten deutschen Vitruvübersetzung nicht, in Vitruvs Wasserheberädern wie in seinem Mühlengetriebe Drehlinge einzuzeichnen (Abb. 4).

Seine Holzschnitte spiegeln den Stand der Technik des 16. Jahrhunderts. Vitruvs Text und Ryffs Übersetzung geben den Drehling aber nicht zwingend her.11

Das Sprossen- oder Laternenrad war zu Agricolas Zeiten ein Getriebeelement, das sich schon Jahrhunderte lang in Tausenden von mittelalterlichen Mühlen mit senkrechtem Wasserrad gedreht hatte. Es diente im Winkelgetriebe der Mühlen zur Umwandlung der vertikalen Drehung des Mühlrades in die horizontale Rotation des Läufermühlsteins. Dass es diese Aufgabe auch in der Antike schon versehen hat, ist dagegen nur schwer nachzuweisen.

Vitruvs dentes liefern, wie wir sahen, keine ausreichend sichere Handhabe. Der englische Technikhistoriker Michael J. T. Lewis verwies jedoch 1997 auf arabische Übersetzungen zweier berühmter griechischer Autoren der Schule von Alexandrien, Archimedes und Apollonius von Perge. Dem Archimedes zugesprochen wird ein Uhrentraktat in arabischer Übersetzung von etwa 900 nach Christus. Darin ist Lewis zufolge die Rede von einem toothed circle meshing with lantern pinion, abgebildet nach der arabischen Handschrift in seiner Fig. 14.12

Archimedes' Zeitgenossen Apollonius von Perge (wie dieser 3. Jh. v. Chr.) schreibt man eine bisher unedierte Beschreibung eines mechanischen Flötenspielers zu. Auch sie liegt nur arabisch vor, es geht aber auch da offensichtlich um einen Drehling: Let the lantern pinion (safud) have the same number of teeth exactly as the gear wheel. Noch wichtiger ist dieser Text des Apollonius durch seinen Bezug auf the newly-invented vertical mill. Lewis unterstützt hiermit sein Plädoyer für eine Erfindung der Wassermühle mit vertikalem Rad durch die alexandrinische Mechanik schon im 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und nicht erst, wie traditionell angenommen, gegen Ende des 1. Jahrhunderts vor Christus.13

3. Terminologie und Funktionen des Drehlings
bei Leonardo da Vinci

Gehen wir ins 15. Jahrhundert zurück, so ist im deutschen Sprachbereich vor allem auf die Münchener Handschrift clm 179.1 (Anonymus der Hussitenkriege) zu verweisen. Einen der dort zahlreich abgebildeten Drehlinge bezeichnete Konrad Mattschoß, der bekannte VDI-Vorsitzende und Verfasser einer Geschichte des Zahnrades (1940), wohl analog zur deutschen Übersetzung des Agricola, als Rädervorgelege.14 Konrad Gruter in seinem 1424 in Venedig entstandenen, lateinisch kommentierten Maschinenbuch Kap. 33-42 wählte rotella.15 Aus Italien erfahren wir Weiteres, das wir hier übergehen (Abb. 5).

Leonardo da Vinci benutzte, wie schon angedeutet, für kleine Zahnräder und Drehlinge gleichermaßen die Termini rocca oder rocchetta. Er verwendete dazu die verschiedensten Schreibweisen. Laut dem neuen ‚Glossario leonardiano' findet sich die Bezeichnung rocca im Codex Madrid I und im Codex Atlanticus zusammen gerechnet 136 Mal.16 In der Tat zeichnet Leonardo nicht nur einmal wie auf fol. 10v des Codex Madrid I einen stabilen Drehling unter Herausstellung einer einzelnen drehbaren Sprosse (Abb. 6), sondern kommentiert anderwärtig (fol. 100r) den Erfahrungshorizont der Müller und anderer Fachleute, mit denen er gesprochen hat. Auch sein berühmtes Automobil, in Wahrheit ein Bühnenwagen, nutzt zwei Drehlinge.17

Immer wieder erscheinen die Anwendungen des Drehlings in den Rekonstruktionen der 2006-2008 erschienenen Bände des Projekts Leonardo dreidimensional.18 Im Codex Madrid I beschäftigen Leonardo insbesondere die Abnutzung der Sprossen und Zähne, die Säulen- oder Kegelform, die Verbindung solcher Drehlinge mit Schrauben (Abb. 6). Genauestens beobachtet er das Einkämmen der Zähne des zugehörigen Zahnrades und stellt bei Betrachtung zweier durch ein Zahnrad miteinander verbundenen Drehlinge folgende Regel auf (fol. 11v Fig. 7a): Die Zähne oder Sprossen dieser zwei Drehlinge (rochette) dürfen nicht zugleich einkämmen. In einer großen Zahl weiterer Getriebe spielen die Drehlinge eine entscheidende Rolle. Auf fol. 13r empfiehlt Leonardo:

Quella roca arà più e ssua fusi permanenti, de' quali e denti della rota che lli toca li tocherà per tutta la lor lungheza. Dieser Drehling behält dauerhaftere Stöcke, wenn die Zähne des berührenden Rades sie auf ihrer ganzen Länge erfassen.
Ma queli fusi delle roche fieno pressto consumati, de' quali la rota che co' lloro s' adopera, arà con essi fusi picolo contacto. Schnell abgenutzt werden dagegen die Triebstöcke, bei denen das mit ihnen gepaarte Rad wenig Kontaktfläche mit den Stöcken hat.

Die Sprossen sind die fusi delle roche, um ihre Abnutzung geht es Leonardo. Auf fol. 13v erörtert er hingegen klassische Zahnräder: Dreht sich das große Rad (rota grande), dann bewegen sich die Ritzelchen rochete) entgegengesetzt zueinander.

Zur weiteren Veranschaulichung seien vier Abschnitte aus Leonardos Codex Madrid I eingefügt, welche die Verwendung von roche etc. sowohl für kleine Drehlinge als auch für kleine Zahnräder in ihrer Funktion als Ritzel dokumentieren. Es sind originelle Beobachtungen. Hinzu kommen Empfehlungen zur Verminderung des Abriebs. Die Übersetzung von 1974 ist hier modifiziert.


fol. 3r:

I mulinari usano spesse volte fare le lor roche che non numerano co sua denti equalmente i denti delle lor rote. E cquesto fanno perchè essendo i denti con gruppi, come acade nel legnio, quel grupo senpre ritornerebono sopra i medesimi fusi e lli consumerebbono. Die Müller pflegen ihre Drehlinge oft so zu machen, dass sie ihnen nicht die gleiche Zahl geben wie ihren Zahnrädern. Das tun sie, weil die Zähne Knorze haben, wie sie im Holz vorkommen, und die Knorze ständig über die gleichen Stöcke glitten und sie abnutzen würden.


fol. 5r:

Quanto le rote multiplicate fieno più remote dalla rota del primo moto, tanto più ti bisogna fare magiore li sspati de' denti che movano la roca, che quelli d'essa roca, perchè per ogni picolo inpedimento tale rote si fermerebbe. Je weiter die Räder eines Vielfachgetriebes vom Antriebsrad entfernt sind, desto größer musst du die Zwischenräume der Zähne machen, die das Ritzel antreiben, [größer] als die des Drehlings, denn bei jeder kleinen Behinderung würden diese Räder stehen bleiben.


fol. 100r:

Ho trovato che i fusi del carello de' molini sono in gran parte di poca durabilità, sol per non essere consumati equalmente. E cquesto nasscie, perchè detti fusi sono possti per linie perpendiculari, e 'l moto fatto dalla loro revolutione ancora fia equale per tutte le parti di ciasscuno fuso. Ich habe herausgefunden, dass die Sprossen des Drehlings der Mühlen großenteils nur deshalb wenig haltbar sind, weil sie nicht gleichmäßig abgenutzt werden. Das kommt daher, dass die Sprossen senkrecht angebracht sind und die von ihnen ausgeführte Drehung für alle Teile jeder Sprosse gleich ist.


fol. 118v:

I denti della rochetta debbono essere tondi quanto si pò, come si figura in f-c. E per questo sono laldabili i fusi delle roche de' molini, perché sono fatte di bastoni retondi di ferro; el dente della rota trova largo in fondo del loro spatio e pò meglio usare il suo moto circulare. Die Zähne des Ritzels müssen so rund wie möglich sein, wie in f-c gezeichnet ist. Darum sind die Stäbe der Drehlinge der Mühlen zu empfehlen, weil sie aus runden Eisenstäben gemacht werden; und der Zahn des Rades findet breiten Platz am Grund des Zwischenraumes und kann besser seine Kreisbewegung ausnützen.

Es gibt bei Leonardo auch Sonderformen: So benutzt er im Codex Madrid fol. 15v, 16r, 16v, 45r konische Drehlinge. Sein konisches Rad fol. 16r, wiederholt auf 45r, hat besonders große Ausmaße. Diese konischen Stockräder sind - im Gegensatz zu Zahnrädern, die man als Kegelradpaare einsetzt (fol. 96r) - in der klassischen Anwendung der Räderpaare untauglich, weil die zugehörigen Kammräder nur an einer Stelle passen. Eine funktionierende Konstruktion hingegen bieten fol. 16r und 45r, wo eine sich verjüngende Zahnspirale das Pendant zum Drehling bildet. Hier lassen sich die Abstände der Zähne der entsprechenden Berührungspartie am konischen Sprossenrad anpassen.

Halbe Drehlinge konstruiert Leonardo in einem Getriebe auf fol. 20r. Auf dem gleichen Blatt ist ein Freilaufdrehling zu sehen.19 Eine weitere Besonderheit sind die oben genannten Drehlinge mit drehbaren Triebstöcken auf fol. 10v. Einen Kumpf bietet Leonardo auf fol. 28r und 31r.

Leonardos Verzahnung war, wie schon bemerkt, noch weit entfernt von der heutigen reibungsarmen Evolventenverzahnung. Trotzdem erkannte Leonardo den Verschleiß durchaus als zentrales Problem. Er nennt zwei besonders ungünstige Konstellationen:20

a) Das in den Drehling eingreifende Zahnrad ist klein. Dann reibt der Zahn am Anfang und zum Ende des Kontaktes besonders stark am Triebstock, auf Dauer entsteht eine Kuhle. Als Abhilfe schlägt Leonardo den Drehling mit drehbaren Triebstöcken vor, die sich aber nicht durchsetzen konnten.

b) Das eingreifende Zahnrad ist ein Kammrad mit Zahnkamm auf der Seitenfläche, so dass zwei Rotationslinien gegeben sind. In diesem Falle reibt der Zahn auf der Seite des Triebstockes entlang.

Dass der Drehling trotz dieser Schwierigkeiten noch über drei Jahrhunderte eines der häufigsten Getriebeelemente war, liegt wohl an seiner einfachen Herstellung und an seiner Belastbarkeit, die den vorindustriellen Bedingungen genügte.

4. Leonardos mittelalterliche Vorgänger

Leonardos Vorgänger verfügten noch nicht über das gleiche Beobachtungsvermögen und die gleiche Fähigkeit der zeichnerischen Darstellung. Unsere Belege sind freilich noch sehr unvollständig. Francesco di Giorgio, Leonardo fast ebenbürtig, spricht sienesisch von ruccha, der andere Sienese, Mariano Taccola, ebenfalls von rucha, während venezianische Fachleute für Schiffbautechnik auch Sprossen und Schaft ins Spiel bringen, bezeichnet als fuso, fusso, fusto, fuxo, fuxeto, fusono usw. Wir vertiefen dies nicht, verweisen aber zumindest auf Francescos Automobile, die Leonardo gekannt haben muss. Sie setzen wie sein eigener Bühnenwagen die Drehlinge als unentbehrliche Getriebeelemente ein und nennen sie wie gesagt rucha.21 Betont sei, dass fast alle italienischen Autoren des 15. Jahrhunderts Abbildungen von Drehlingen aufweisen, genau wie in Deutschland der bekannte Anonymus der Zeit der Hussitenkriege sie auf zahlreichen Skizzen dargestellt hat.22

Während wir Belege für die Existenz des Drehlings aus der Antike nur in sehr geringer Zahl besitzen, liegen Zeichnungen des Mittelalters spätestens seit dem 12. Jahrhundert vor. Die berühmte Mühle der Herrad von Landsberg in ihrem Hortus deliciarum lässt ein solches Laternenrad deutlich erkennen.23 Etwas früher liegt vermutlich der Drehling der bekannten mystischen Mühle auf einem Kapitell der Basilika von Vézelay.24 Die älteste ausführliche Beschreibung eines Getriebes in Westeuropa hat uns in der Zeit um 1335 der technisch interessierte Arzt Guido von Vigevano geliefert. Zum Antrieb eines großen Kriegswagens will er entweder ein Windrad nutzen oder, bei fehlendem Wind, manuell betriebene Kurbelwellen. Mit diesen verbunden ist eine ganze Reihe von Triebrädern bzw. Drehlingen, die er jeweils als rota infuselata anspricht. Fusellus bezeichnet den einzelnen Triebstab. Das zugehörige Zahnrad heißt rota indentata. Rocca findet hier noch keine Verwendung. Diese Bezeichnung scheint sich erst im Laufe des 15. Jahrhunderts durchgesetzt zu haben.25 Auch die Autoren der großen Uhrentraktate des 14. Jahrhunderts kennen sie noch nicht, weder Richard of Wallingford noch Giovanni Dondi dall'Orologio.26

Das Wort rocca hat eine eigentümliche Vorgeschichte. Es hat sich in den romanischen Sprachen von Rumänien bis Spanien schon früh festgesetzt, kommt aber aus dem Germanischen, in Oberitalien offenbar aus dem Langobardischen. Viene dal germanico, sagt der Altmeister der Etymologie der italienischen Sprache, Ottorino Pianigiani (1845-1927), und verweist auf das Althochdeutsche roc, hroch, modern Rock, angelsächsisch roc, skandinavisch rockr im Sinne von Weste, Toga. Auch der französische froc, die Mönchskutte, hänge hiermit zusammen.27 Pianigiani sagt dies unter dem Stichwort rocchetto. Zu nennen ist weiter französisch rouque, die Spule. Besonders interessant scheint das dänische rokke, das dem englischen to rock entspricht, im Sinne von wackeln (niederdeutsch wocken), sich hin und her bewegen. Der moderne Rock and Roll-Tanz trägt, wie man sieht, seinen Namen zu Recht. Er zeigt einen unverkennbaren Bedeutungszusammenhang mit den immer neuen Bemühungen der Mechaniker um eine möglichst stoßfreie Umwandlung von rotierender in alternierende Bewegung.

Während im Neuhochdeutschen sich nur der Spinnrocken erhalten hat, der eine breite Vorgeschichte im Mittelhochdeutschen aufzuweisen hat, erfuhren roccha und rocchetto im Italienischen ein erstaunliches Fortleben in der modernen Mechanik, nicht zuletzt aber auch in der Textil- und Elektrotechnik. Man spricht nicht nur von rocchetto di comando (Antriebsritzel), rocchetto di cotone (Baumwollrolle), rocchetto di filo da cucire (Zwirnrolle) oder rocchetto di macchina da cucire (Nähmaschinenspule), sondern kennt in der Elektrotechnik die Induktionsspule rocchetto d'induzione und als speziellen Funkeninduktor den rocchetto di Ruhmkorff, nach dem Erfinder Heinrich Daniel Ruhmkorff (1803-1877). Dessen berühmter Ruhmkorff-Lampe setzte Jules Vernes in mehreren seiner Romane ein bleibendes Denkmal.28

5. Zusammenfassung und Ausblick

Die Untersuchung zeigt, dass der Drehling schon in der Antike vorkam und vom Hochmittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein ein unverzichtbares Maschinenelement blieb. Die Vielfalt der Bezeichnungen zeugt von einem breiten Einsatzspektrum. In der antiken Überlieferung ist der Drehling noch schwer zu fassen. Deutlich gezeichnet erscheint er in einem arabischen Maschinenbuch der Zeit um 1000 (al-Muradi), bildhauerisch gestaltet erstmals im 12. Jahrhundert (Vézelay), bald (um 1180) auch in einer Zeichnung bei der Äbtissin Herrad von Landsberg. Danach kommt er immer häufiger vor und behält seine Bedeutung bis ins 18. Jahrhundert. Seine Blütezeit fällt ins 15.-16. Jahrhundert: Die so genannten Künstleringenieure Konrad Kyeser und Konrad Gruter, der Anonymus der Hussitenkriege, die Sienesen Taccola und Francesco di Giorgio Martini haben ihn im 15. Jahrhundert vielfältig dargestellt. Besondere Aufmerksamkeit wandte ihm Leonardo da Vinci zu. Man kann sagen: Der Drehling war in seiner Zeit eines der am meisten verbreiteten Maschinenelemente überhaupt. Er übernahm eine wesentliche Rolle der Kraftübertragung, in den Mühlengetrieben wie auch in zahlreichen Uhren und Textilmaschinen. Eben dadurch erklärt sich die Vielzahl seiner regional wie sachlich sehr unterschiedlichen Benennungen. Die Neuzeit (gelegentlich auch Leonardo schon) stattete dieses Maschinenelement mit eisernen Triebstöcken aus, bis es in der modernen Mechanik des 19.-20. Jahrhunderts kaum noch Verwendung fand.

Leonardo stößt mit seinem Werk die Tür in das Wissen seiner Zeit weit auf. Er überliefert uns den Drehling sowohl beiläufig eingezeichnet in allerlei Mechanismen als auch in Weiterentwicklung. Dazu gehören Drehlinge mit beweglichen Triebstöcken und solche mit Freilauf. Auch sinnierte Leonardo über die Haltbarkeit der Stockräder, um den Müllern und sonstigen Anwendern Reparaturen zu ersparen. Erst die industrielle Revolution machte dem Drehling weitgehend den Garaus, seine Konstruktion hält den starken Maschinen mit hoher Drehzahl nicht stand. Überdauert hat er lediglich als Spezialelement aus Stahl, und als museales Element in technischen Kulturdenkmälern, wo man ihn noch in Funktion erleben kann.